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Industriespionage, oder: Wie die Baumwolle nach Deutschland kam



Als mein Jüngster Erik mir diese Woche einen Elternzettel für einen letzten Schulausflug zum Unterschreiben vorlegte, habe ich spontan gesagt: Da will ich mit! Mein Sproß hat nur noch wenige Tage Schule, und der Lehrer hatte die Idee, mit dem Technikkurs eine Exkursion zu einem Ort zu machen, wo die Schüler real erleben können, wie die bisherige trockene Theorie umgesetzt wird.

Thema des letzten Halbjahres war die Industrialisierung mit Dampfmaschine und Co. Dabei wurden Spinn- und Webtechniken des 19ten Jahrhunderts eingehend behandelt. Die Idee des Lehrers, solche Spinnmaschinen im Einsatz zu sehen, muss ich als Mutter mehr als loben!

Spontan bin ich der Klasse hinterhergedackelt. Als Privatperson kann ich schließlich hinfahren wo ich will, auch zur gleichen Zeit wie die Klasse in ein Industriemuseum. Ziel der Reise war die Textilfabrik Cromford in Ratingen. Bisher wusste ich nicht einmal, dass es dieses Museum gibt, Ratingen ist eine gute halbe Autostunde von uns entfernt.

Wer sich die Website der ehemaligen Fabrik anschauen möchte: Textilfabrik Cromfort in Ratingen.

In dem Museum angekommen, hatten wir das Glück uns einer Führung durch das Haus anschließen zu können. Faszinierend war der Vortrag gleich zu Beginn: Wir konnten lernen, wie Baumwolle ausschaut, wie sie wächst und sogar einige der Pflanzen eigenhändig auseinandernehmen, eine Arbeit die natürlich üblicherweise bereits in den Erzeugerländern vorgenommen wird.

Ich habe nicht schlecht gestaunt, als ich die Pflanze sah: Sie gleicht meinem Hibiskus vor der Haustür, und siehe da: Beide sind verwandt! Baumwolle gehört zu den Malvengewächsen. Als Blüte ist Baumwolle eine zauberhafte Pflanze (rechts), die reifen Samenkapseln enthüllen den begehrten Rohstoff (links):

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Die Klasse durfte die Kapseln untersuchen und die Fasern von dem Kern befreien, der im Inneren der Fasern schlummert. Ein paar durfte ich mit nach Hause nehmen, mit einer kurzen Pflegeanleitung: Niemals nach draußen stellen! Baumwolle benötigt ein sehr warmes Klima. Irgendwie gut nachvollziehbar: Ich habe noch nie eine Baumwollpflanze in unseren Breiten auf einem Feld gesehen.

Nach diesem Überblick über die Herkunft bekam die Klasse Einblick in die Ursprünge der maschinellen Verarbeitung. Erfunden haben das die Engländer, und der Kaufmann Johann Gottfried Brügelmann hat die Technik Ende des 18ten Jahrhunderts durch einen frühen Fall von Industriespionage nach Deutschland geholt. Die Ausfuhr der Technologie war natürlich strengstens verboten, und so hat der clevere Geschäftsmann kurzerhand Mitarbeiter einer englischen Fabrik abgeworben und diese brachten die damals bahnbrechende Technologie mit zu uns. 1783 begann er dann mit dem Aufbau der Fabrik unweit seiner Wuppertaler Heimat. Die Fabrik war die erste ihrer Art auf dem Kontinent, und hat die Lebensweise der Arbeiter sowie Abnehmer der erzeugten Produkte einschneidend verändert.

Während meiner Mittelalterphase hatte ich gelernt, Schafwolle zu verarbeiten, also waren mir einige der Produktionsschritte vertraut. Ich habe mich jedoch immer gefragt, wie es Maschinen möglich ist, aus den relativ kurzen und glatten Fasern der Baumwolle so stabile und gleichmäßige Garne herzustellen. Nun, bei Cromfort kann man es lernen: Mit cleveren und ausgeklügelten Arbeitsschritten, deren Erfindung auf einer schrittweisen Verbesserung bereits bestehende Technologien beruhten.

Als ein Vorläufer von Spinnmaschinen im großen Umfang (im Hintergrund zu sehen) gilt die „Spinning Jenny“, welche von den Schülern sogar bedient werden konnte.

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Nach dem Rundgang konnte noch eine Ausstellung zum Thema Mode sowie das alte Herrenhaus des Firmengründers besichtigt werden. Die Schüler (und die Mutter) waren begeistert! Mein Sohn fand es faszinierend, das Gelernte aus dem Unterricht in Aktion sehen zu können.

Wir beide haben viel von diesem Tag mit nach Hause genommen. Mein Kind die Begeisterung für Technik und das Wissen, dass alle Technik immer auf der vorhergehenden aufbaut. Seine Mama hat weitere Informationen zu ökologischer Mode sammeln können, wenn auch indirekt. Ich sehe Baumwolle nun mit ganz anderen Augen. Mehr darüber ein andermal.

Auf jeden Fall möchte ich jedem Technikinteressierten empfehlen, das Museum zu besuchen, wenn sich die Gelegenheit bietet.

Dann könnt ihr auch diese Seite im Gästebuch suchen, welches im Herrenhaus-Cafe ausliegt. Die Klasse hat sich dort verewigt, und erstaunliches Talent beweisen: Mitschülerin Vanessa ist eine wahnsinnig talentierte Zeichnerin, und hat ihren geliebten Mangastyle in eine Szene passend zum Thema des Museums umgesetzt: Genial!

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Ich bedanke mich beim Museum für die freundliche und kompetente Unterstützung. Ich werde wiederkommen!

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